This is America - People and Places
Samstag, 7. September 2019
Eisberge und geschmolzenes Eis
Freitag, 6.9.
Als ich aufwachte, hörte ich Regentropfen auf dem Autodach. Da brauchte ich mich wohl nicht beeilen aufzustehen. Ich wollte aber trotzdem wandern gehen. Es regnete auch nicht richtig, nur ab und an einige Tropfen. Um sicher zu gehen, einen Parkplatz zu bekommen, fuhr ich dann ohne zu frühstücken los zum Many Glaciers Entrance, dem nordöstlichsten Zugang. Die Tore werden hier wohl nicht zugemacht, so dass man auch schon sehr früh reinfahren kann bzw. sehr spät raus. Gegen halb neun war ich am Ziel, ich nahm einen Parkplatz kurz vor dem eigentlichen Wanderparkplatz, war nah genug und es waren vor mir schon viele Autos reingefahren. Dort wollte ich dann erst einmal frühstücken, aber als ich ausgestiegen war, kam ein Pärchen vom See hoch (dort konnte man Boote zu Wasser lassen) und meinte, ein Elch stünde im Wasser. Also huschte ich ganz schnell zum See runter, wo auch noch andere beobachteten, wie der „moose“ sich dort erfrischte. Er war vielleicht 60/70 m entfernt. Als ich das Schauspiel lange genug genossen hatte, begab ich mich wieder zum Auto und holte meine Frühstückszeug raus. Leider musste ich feststellen, dass die Milch sauer geworden war. Es gibt hier auch keine ungekühlt haltbare (obwohl sie pasteurisiert und homogenisiert ist), habe ich jedenfalls noch nicht gesehen. Und dass sie wirklich Kühlung braucht, dafür hatte ich jetzt den Beweis. Meine Kühlakkus waren natürlich längst hinüber. Fünf vor neun lief ich los, am eigentlichen Parkplatz füllte ich nochmal die Wasservorräte auf, dann begann der Trail. Zunächst ging es am Swiftcurrent Lake entlang, zum Teil direkt am See, zum Teil in Ufernähe durch den Wald. Ich schien die Einzige dort zu sein, von den Leuten auf einem Boot auf dem See mal abgesehen. Deswegen machte ich anfangs auch immer mal laut, aber singen und wandern zusammen war dann doch zu anstrengend auf Dauer. Als ich den direkten Uferweg wieder verlassen hatte und etwas oberhalb durch den Wald lief, da sah ich ihn dann: einen Schwarzbären direkt auf meinem Weg! Ungefähr 20/30 m vor mir. Ich blieb erschrocken stehen, dann holte ich meine Kamera raus, aber in dem Moment verschwand er im Wald Richtung See, worüber ich aber durchaus erleichtert und erfreut war. Als er weit genug weg war vom Weg, beeilte ich mich, die Stelle zu passieren. Am Ende des Wegabschnitts, den ich nun fast rennend absolvierte, lud das Boot gerade die Leute aus, unter die ich mich dann gerne mischte. Waren aber alles unfitte Rentner, die ich dann doch hinter mir ließ, ganz davon abgesehen, dass sie nur zum nächsten See liefen, um dort ins nächste Boot zu steigen ... Aber wenig später wurde ich dann überholt, und von da an waren mehr Leute unterwegs, die zum Teil auch von woanders dazustießen. Oberhalb des Lake Josephine, an dem es nun entlangging, konnte man von hoch oben auf einen weiteren badenden Elch schauen. Von nun an ging es beständig aufwärts, ich überholte eine von einem Ranger geführte Gruppe und einige andere Leute, aber ich wurde auch von einigen überholt. Manche traf man auch immer wieder. Das nächste große Oh des Tages war der Blick auf Grinnell Lake, der so unglaublich türkis im Talkessel lag, dass sich das Auge gar nicht satt daran sehen konnte. Es ging immer höher, und der Weg war definitiv nichts für Leute mit Höhenangst. Rechts Felswand, daneben der Weg, links Abgrund. Aber er war breit genug, dass man überall aneinander vorbeigehen konnte. Bald kamen auch die ersten Leute aus der anderen Richtung. Ein anderer Wanderer wies mich auf ein „ground squirrel“ (Erdhörnchen) hin. An einer zu passierenden Felswand sprudelte auch Wasser herunter, eine „weinende Wand“ sozusagen (so hieß eine andere derartige Wand). Je höher es ging, desto anstrengender wurde der Aufstieg. Er lohnte jedoch. Von unten sah man immer nur die kalte weiß-graue Gletscherwand, aber wenn man das Ende des Pfades erreicht hatte, sah man nicht nur ringsum die Felsen von „The Garden Wall“, den Wasserfall dort und die Eismassen, sondern man blickte auf den Upper Grinnell Lake, den Eisbergsee, denn in dem glasklaren Wasser schwammen kleine Eisberge. Das sah wundervoll aus. Man konnte auch direkt ans Ufer gehen. Auf die Idee, dort zu baden, wäre ich niemals gekommen ... Ganz davon abgesehen, dass es heute nicht wärmer als 14 Grad wurde. Dort oben pausierte ich eine Weile, aß und trank etwas, dann machte ich mich auf den Rückweg, denn es zog sich zusehends zu. Und bald wurden aus den wenigen Tropfen auch viele, während ich bergab lief. Es regnete sich so richtig ein. Ich holte den Schirm raus, den ich von John und Peggy mitbekommen hatte. Manch einer mag die Augenbrauen verziehen ob der Idee, mit einem Schirm wandern zu gehen, aber, das haben mir so manche Wanderer bestätigt, die ich heute traf, die Idee ist „smart“! Den Rest des Weges hinab und zurück zum Auto absolvierte ich also beschirmt. Die Nebel- und Wolkenschwaden mystifizierten die Landschaft, und ich fand trotz des Wetters, dass das ein perfekter Tag sei. Am Auto entledigte ich mich der pitschnassen Regenjacke (ich hätte eher den Schirm rausholen sollen!) und stieg flugs ein und startete es. Mir war kalt. Ich regelte die Temperatur auf 27 Grad hoch, während ich zurückfuhr. In St. Mary kaufte ich neue Milch usw., dann fuhr ich zum Campingplatz und parkte an der Rezeption wegen des WLANs, das nicht weit reichte. Und musste erfahren, dass gestern unser Pfarrer Helge Voigt verstorben ist. Das war schwer zu fassen, so sehr es sich auch abgezeichnet hatte. Habe deshalb ganz vergessen, meine Fotos zu teilen (unter anderem sind die aktuellen Fotos bei meinem WhatsApp-Status einsehbar, wer das hier vermisst), das werde ich später nachholen, wenn ich das hier online stelle. Dann ging ich zur heute geöffneten Rezeption, wo sich herausstellte, dass meine Buchung nicht erfolgt war. Meine Kreditkarte war auch nicht belastet worden, wie ich dann überprüfte. Irgendwie musste ich irgendwo die letzte Bestätigung verpasst haben. Ich bezahlte also in bar, bekam meine zwei Duschmarken und fuhr zu meinem Plätzchen. Nach essen und schreiben wagte ich mich noch einmal hinaus in die Kälte, denn Nicky hatte mich gestern Abend eingeladen, bei ihrer Wandergruppe vorbeizuschauen, denn dort würde ich bestimmt jemanden finden, der eine Geschichte zu erzählen hätte. Als ich ankam, sprach ich zunächst eine Frau an, die meinte, sie sei die Falsche dafür und mein Mut sank schon. Aber ich stand dann dort am Feuer und kam hier und da ins Gespräch, mir wurden Leute empfohlen. Aber dann gab es dort erst einmal essen und danach die Tagesauswertung, währenddessen Nicky mich mit einem Stück Karottenkuchen versorgte. Dann wurde ich aber offiziell vorgestellt vor ca. 60 Wanderern, größtenteils im Rentenalter, und es wurde aufgerufen, mich anzusprechen, wer eine Geschichte habe. Das klappte so gut, dass ich gleich Geschichten bekam, eine jede ganz anders als die andere, sehr schön! Das Gute an diesem Projekt ist, dass ich mich so selbst zwinge, mit Menschen in Kontakt zu kommen, und das ist gut. Manchmal braucht es Initiative, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, das klappt nicht immer von allein. Heute schmolz mal wieder das Eis, nicht nur das des Gletschers ... So verbrachte ich jedenfalls einen interessanten Abend, an dem ich mindestens genauso viel erzählen musste, wie ich erzählt bekam. John lud mich sogar ein, bei seiner Familie in Oregon Zwischenstation zu machen. Und Meg, wenn du das hier liest, es war toll dich kennenzulernen!

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Letzte Aktualisierung: 2019.12.01, 10:14
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