This is America - People and Places
Samstag, 12. Oktober 2019
In der Stadt des Heiligen Glaubens
Freitag, 11.10.
Es fühlte sich sehr kalt an am frühen Morgen. Ich nutzte zeitig die Restrooms von Walmart und kaufte gleich noch was dort ein. Die Milch aus dem Kühlregal, die ich dann mit meinem Müsli zu mir nahm, war eiskalt, das machte es nicht besser. Ich fuhr zur benachbarten Tankstelle, wo ich für nur 2,319 pro Gallone volltankte und mir einen plürrigen Kaffee holte, aber der war zumindest schön heiß! Ich steuerte dann einen zentrumsnahen Supermarkt an, wo ich mein Auto parkte. Von dort aus erkundete ich die Stadt zu Fuß. Als Erstes passierte ich das State Capitol Building, in dem, wie ich später erfuhr, auch Bilder ausgestellt sind. Mein Weg führte mich zur San Miguel Church, der ältesten Kirche der USA. Sie wurde im frühen 17. Jh. von Tlaxcalan-Indianern aus Mexiko unter Anleitung eines Franziskaner-Paters erbaut, und die Grundstrukturen sind noch erhalten. Ich war um neun dort, aber ausgerechnet diese Kirche öffnete erst um zehn. Ich musste also vorerst mit dem Außenanblick vorlieb nehmen. Nur ein paar Meter weiter war aber schon die nächste Kirche, die Loretta Chapel. Man bezahlt 5 $ Eintritt. Das hat einen Grund. Sie beherbergt ein Wunder. Das meine ich ernst. Es handelt sich um eine Treppe. Man hatte beim Bau der recht hohen Orgelempore vergessen, dass man da auch irgendwie hochkommen muss. Eine normale Treppe hätte den halben Kirchenraum eingenommen, niemand wusste Rat. Nun kommen wir zum legendenhaften Teil der Geschichte. Kein Zimmermann sah eine Lösung. Die Schwestern des Ordens hielten daraufhin eine neuntägige Andacht ab (Novene), an deren letztem Tag ein alter Mann auf einem Esel dahergeritten kam, der eine einfache Werkzeugkiste mit Säge, Winkel und Hammer bei sich hatte und meinte, er könne behilflich sein. In Bottichen mit Wasser wurde Holz eingeweicht, die 33-stufige Wendeltreppe, die entstand, macht zwei volle Drehungen und hat keinerlei zentrale Stütze. Oben ist sie an den Chor gelehnt, unten ruht sie auf dem Kirchenboden. Es ist kein Nagel in ihr, alles Holz ist nur mit Dübeln und Verzapfungen aneinandergefügt. Wenn man darauf hochsteigt (was man nicht darf), soll sie federn. Im ursprünglichen Zustand war sie ohne Geländer. Die Wendeltreppe ist dazu noch schön. Selbst heute kann man nicht nachvollziehen, wie das Meisterwerk gelingen konnte. Es ist wie mit der Hummel, die nach den Gesetzen der Aerodynamik eigentlich nicht fliegen können dürfte. Die Treppe dürfte eigentlich nicht halten. Sie hat aber nun schon seit Ende des 19. Jh. gehalten. (Das ist für amerikanische Verhältnisse eine Ewigkeit!) Ach ja, der alte Mann verschwand danach, ohne sich bezahlen zu lassen. Ich war aber tatsächlich angetan von der Konstruktion, Holz liebe ich ohnehin. Ich kam nicht umhin, mir im Laden einen Hoodie der Kapelle zu holen. Kann auch nicht schaden bei der Kälte .... Es wurde heute nicht wärmer als 12 Grad, selbst hier nicht. Aber das soll der kälteste Tag gewesen sein, vorerst. Von der Loretta-Kapelle aus ging es direkt zur nächsten Kirche, der St. Francis Cathedral, gemeint ist Franziskus von Assisi, denn mit vollem Namen heißt die Stadt eigentlich „La Villa Real de la Santa Fe de San Francisco de Asis“. Die Basilika wirkte auch wie eine, alles etwas protziger. Aber im Detail doch ganz volksnah. Von dort stiefelte ich den Stadtberg hinauf zum Märtyrer-Kreuz. Man blickt von dort hinab auf Santa Fe. Wenn man bedenkt, dass Santa Fe die Hauptstadt New Mexicos ist, dann ist sie doch eher klein. Albuquerque ist jedenfalls deutlich größer. Vom Kreuz aus lief ich zum historischen Marktplatz, an deren Ecke ein Straßenmusiker sein Bestes gab, gleich daneben unzählige Verkaufsstände bzw. – sitze für Schmuck, Kunst und dergleichen Touri-Ware. Auf der anderen Seite des Platzes gab es zwei preiswerte Imbissstände, ansonsten war aber nicht viel los, ich glaube, dass sieht an wärmeren Tagen anders aus. Ich steuerte wieder auf den Straßenmusiker zu, wollte schauen, ob er mir seine Geschichte erzählt. Er wurde gerade von einem Uniformierten des Platzes verwiesen. Und als ich was davon sagte, dass ich die Geschichte aufnehmen wolle, war er nach anfänglichem Nicht-abgeneigt-Sein ganz schnell weg. Habe ich wohl etwas ungeschickt angestellt. Vom Plaza (das heißt nicht nur New Mexico, hier ist vieles mexikanisch) kehrte ich nun zurück zur San Miguel Church, der ältesten des Landes. In deren Innern sind die ursprünglichen Mauern zum Teil freigelegt und hinter Glas zu betrachten. Eine alte Glocke ist ausgestellt, die man zum Klingen bringen darf. Insgesamt eine eher schlichte Kirche für katholische Verhältnisse. Das gilt aber für alle Kirchen hier. Gleich nebenan erkundete ich im Anschluss das älteste Haus der Stadt. Auf dem Weg zur Canyon Road, dem Kunstmekka mit x Galerien, kam ich an einer Galerie vorbei, deren Werbeschild mich hineinlockte: Women in the Bible. Das interessierte mich. Ich war gleich ganz angetan von der „Judith“ im ersten Raum und schoss ein Foto, da stürzte die Künstlerin herbei und bat mich, das Foto zu löschen, was ich sogleich tat. Wir kamen aber ins Gespräch, und ich witterte eine Geschichte. Ich bekam sie. Eine, die perfekt zu Santa Fe passt. Denn Kunst spielt dort eine große Rolle, in diversen Museen und unzähligen Galerien. In der Canyon Road fand ich dann einige interessante Objekte, manches war auch so gar nicht mein Fall. Ich sprach auch mit einem anderen Künstler dort, ich fragte mich, ob er mich für einen möglichen Käufer hielt, wohl eher nicht, aber er kam dennoch auf mich zu, um mir sein Werk näher zu bringen. Unterwegs snackte ich kurz, auch wenn es in der Stadt nur so von einladenden Restaurants wimmelt. Ein Ziel hatte ich dann noch: die Old Guadalupe Santuario oder Our Lady of Guadalupe. Es ist die älteste Kirche in den Staaten, die ihr gewidmet ist. In Mexico ist die Basilika Unserer Lieben Frau von Guadalupe Nationalheiligtum, muss man wissen. Als ich eintrat, hörte ich laut gesprochene Gebete im rechten Querhaus. Ich nahm Platz und lauschte. Es waren drei Frauen und ein Mann dort, die wenig später, so erzählten sie mir, ein dreistündiges Gebet beendeten. Ich bewunderte den Schrein, der dem Gedenken an die Marienerscheinung eines aztekischen Bauern aus Tepeyac im Jahre 1531 dient. Ich hatte das Gespräch eröffnet, und man gab mir erfreut Auskunft über alles, am Ende bekam ich eine Gebetskarte und Reisesegenswünsche mit auf den Weg. Ich spazierte durch einen Park mit alten Gleisbetten zurück zum Laden, wo mein Auto stand. Ins Navi gab ich einen Koa-Campingplatz in Las Cruzes ein, 4 Stunden entfernt, dicht vor El Paso. Aber es war schon halb vier. Mir kamen Zweifel, ob ich noch so weit fahren sollte. Dazu fiel mir ein, dass Jim mir die Skytram in Albuquerque als Highlight empfohlen hatte. Ich programmierte kurzerhand um und fuhr zum Koa-Campingplatz von Albuquerque. Dort war alles voll, weil in der Stadt gerade eine große Ballon-Fiesta stattfindet. Bestimmt kam daher gestern das Feuerwerk. Als ich nachhakte, dass ich nur ein winziges Plätzchen für mein Auto bräuchte, fand man eines für mich. Das gibt Pluspunkte. Ich wurde dann mit einem Elektrobuggy zu meinem Platz geleitet. Der Fahrer, als er erfuhr, woher ich bin, meinte im ersten Satz, er sei in Deutschland geboren. Und im zweiten, dass seine Mutter dort im Zwangsarbeiterlager war. Ich ging darauf ein. Es stellte sich heraus, dass sie drei jüdische Freundinnen mit Essen versorgt hatte, deshalb wurde sie inhaftiert. Ich bekam meine zweite Geschichte des Tages, auch wenn die Mutter darin dann eine Nebenrolle spielte, eine ganz interessante. Jerzy erzählte, während er mit dem Buggy nebenbei seinen Job machte, mit mir auf dem Beifahrersitz. Leider streikte mein Diktiergerät dann und zeichnete nicht mehr auf, weil der Speicher voll war. Auch nach dem Löschen war er nach 47 Sekunden wieder voll. Deshalb ist seine Geschichte etwas stückelig geworden. Am Ende habe ich mein Handy zum Aufzeichnen genutzt – mit dem Problem, dass ich die Datei nun nicht sichern kann auf dem Rechner, weil das IPad mein Android-Handy ignoriert. Ich glaube, wir sind da bald zwei Stunden über den Campingplatz gekurvt. Jerzy fiel dann immer noch mehr ein. Von seinen Navy-Erfahrungen in Vietnam und im U-Boot unterm Eis berichtete er ebenso wie von seinen Frauengeschichten und seinem vollinvaliden Sohn, der im Irak zerfetzt wurde. Dann war es halb acht, dunkel, ich hatte noch nichts gegessen und ich sehnte mich nach dem 1-A-Badezimmer. Jetzt ist es schon ziemlich spät dadurch, halb elf, ich krabbele gleich in meinen Schlafsack. Es soll nachts nicht kälter als vier Grad plus werden.

... comment

Online seit 1707 Tagen
Letzte Aktualisierung: 2019.12.01, 10:14
status
Menu
Suche
 
Kalender
Oktober 2019
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
Letzte Aktualisierungen
Die Texte müssen...
Die Texte müssen mühsam transkripiert und...
by a.a. (2019.12.01, 10:14)
Danke dafür, dass...
Danke dafür, dass du uns auf deine Reise mitgenommen...
by luemmel1501 (2019.11.24, 19:54)
FAZIT
Sonntag, 24.11 Seit drei Tagen bin ich – sind...
by a.a. (2019.11.24, 18:12)
Abflug und Ankunft
Mittwoch, 20.11. und Donnerstag, 21.11. Um acht standen...
by a.a. (2019.11.21, 18:35)
Novembertag in Chicago
Dienstag, 19.11. Nach dem Frühstück und...
by a.a. (2019.11.20, 05:19)

xml version of this page

made with antville